Gabriela Hearst, neue Chloé-Designerin, will Mode grüner machen (2024)

Die Designerin Gabriela Hearst setzt konsequent auf Nachhaltigkeit und hat mit ihrem Luxuslabel viel Beachtung bekommen. Nun feierte die Tochter eines Gauchos und einer Rodeoreiterin in Paris Premiere – als neue Kreativchefin bei Chloé.

Silke Wichert

Gabriela Hearst, neue Chloé-Designerin, will Mode grüner machen (1)

Der Name führt auf eine richtige und eine falsche Fährte. Hearst, das klingt nach «Citizen Kane», glamouröser Verlagswelt, New Yorker Geldadel. Und tatsächlich ist Gabriela Hearst seit 2013 mit dem Enkel des Medien-Tycoons William Randolph Hearst verheiratet, der Orson Welles 1941 als Vorlage für den Filmklassiker diente.

Man könnte die zierliche Blonde mit dem aparten Gesicht und der mühelos eleganten Erscheinung also leicht für eine dieser reichen Ehefrauen halten, die sich irgendwann Mode als schönes Hobby aussuchen. 2015 gründete sie das nach ihr benannte Label, die Kollektionen sind extrem luxuriös, entsprechend teuer, aber auch betont nachhaltig. Gabriela Hearst und ihr Ehemann sind selbst seit langem philanthropisch unterwegs.

Aber der Nachname spiegelt eben nur die eine Hälfte von Gabriela Hearst wider, die bis zu ihrer Hochzeit mit Austin Hearst Gabriela Perezutti hiess und noch eine ganz andere Geschichte zu erzählen hat. Eine, die viel besseren Stoff liefert als der angeheiratete «Citizen Kane»-Plot. Denn Hearst wuchs als Tochter eines Gauchos und einer Rodeoreiterin auf einer Ranch in Uruguay auf, die nächste Stadt war zweieinhalb Stunden mit dem Jeep entfernt. «Off the grid», da komme sie her, betont Hearst in Interviews jeweils – was abseits der geregelten Stromversorgung heisst, aber eben auch fernab von so ziemlich allem bedeutet.

Aufgewachsen ohne «Vogue» und Fernseher

Auf der Ranch hatten sie 9000 Schafe, 5000 Rinder und 7000 Hektaren Land drumherum, aber nur mit der eigenen Windmühle erzeugten Strom, der abends für ungefähr zwei Stunden reichte. Es gab keinen Arzt und keine Shoppingmall in der Nähe, keinen Fernseher, keine «Vogue». Das Mädchen verbrachte den ganzen Tag draussen, meist auf dem Rücken eines Pferdes, fast immer kam es staubig nach Hause. Eine der frühesten Erinnerungen an ihre Mutter sei, wie diese vom Pferd geflogen sei, erzählte die 44-Jährige kürzlich in einem Interview: Die Mutter schlägt mit dem Gesicht auf, wischt sich das Blut vom Mund und steigt wieder in den Sattel.

So fragil Gabriela Hearst herüberkommt, so wenig zimperlich sind sie und ihre Familie offensichtlich. Ihre Stimme klingt viel dunkler, als man es vermuten würde. An der Online-Pressekonferenz, zu der die Designerin nach ihrer Präsentation in Paris vergangene Woche eine kleine Runde einlud, lacht sie immer wieder herzhaft ihr kernig-kehliges Lachen. Sie spricht Englisch noch immer mit deutlich spanischem Akzent, obwohl sie mit siebzehn aufs College nach Australien ging. Später zog sie weiter nach New York, arbeitete als Model und in einem Showroom und gründete Anfang der nuller Jahre mit Freunden zunächst ein mittelpreisiges Label namens Candela.

Diese ziemlich kuriose Mischung aus Gaucho- und Glamourgirl hat die letzten Jahre für grosses Aufsehen gesorgt. Schon nach kurzer Zeit sollen die Umsätze von Candela bei 20 Millionen Dollar gelegen haben, was sicher auch mit Gabriela Hearsts Investor – ihrem Ehemann Austin – und hervorragenden Kontakten zur wohlhabenden Klientel zu tun hatte. Angeblich hat sie das Label zunächst Gabriela Perezutti nennen wollen und nur deshalb davon abgesehen, weil der Name für Amerikaner so schwer auszusprechen ist.

Aber Hearst beweist – egal, unter welchem Namen – Saison für Saison ein Gespür für unangestrengte, zeitlose Eleganz, für Dinge, die angenehm zu tragen sind, ohne dafür ästhetische Kompromisse einzugehen. Die Stoffe fliessen, sie engen nie ein, die Entwürfe lassen den Frauen darin in jeder Hinsicht Raum für Entfaltung.

Jill Biden trug ihren Mantel bei der Inauguration

Vor allem hat Hearst 2019 die erste klimaneutrale Fashion-Show organisiert. Um Energie zu sparen, wurden nicht einmal die Haare der Models geföhnt. Damit hat Hearst die Branche, die das Thema Nachhaltigkeit neuerdings so gern vor sich herträgt, ganz schön vorgeführt. Ihre Firma benutzt statt Plastik nur noch biologisch abbaubare Verpackungen, die jetzt auch Burberry verwendet. Wenn es die Zeit zulässt, wird Ware per Schiff statt mit dem Flugzeug verschickt. Die Entwürfe trug jüngst die neue First Lady Jill Biden am Abend der Amtseinführung: ein weisser Mantel, am Saum handbestickt mit den offiziellen Landesblumen sämtlicher Staaten von Amerika, als Zeichen von Einigkeit.

Der Karrierehöhepunkt folgte für die Südamerikanerin, die mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, jedoch Anfang März. Schon Ende letztes Jahr war bekanntgeworden, dass die erst vor vier Jahren ernannte Chloé-Designerin Natacha Ramsay-Levi das Haus verlasse und Gabriela Hearst ihre Nachfolgerin werde. Hearsts Debüt am vergangenen Mittwoch war die mit grösster Spannung erwartete Show von Paris. Wegen der Corona-Pandemie konnte sie nur als Video präsentiert werden, nachts auf den Strassen von Saint-Germain gedreht.

Gleich der erste Look verknüpft das typische Chloé-Cape mit dem Poncho. Viele Taschen und Schuhe haben Fransen, dazu ertönen lateinamerikanische Klänge. Man kann nicht behaupten, Gabriela Hearst habe Skrupel gehabt, ihre eigene Biografie in das urfranzösische Erbe einzuweben. Sonst trägt die neue Chloé-Frau lange Cashmere-Kleider, Mäntel aus muschelförmig zusammengesetzten Lederstücken, einen Shearling-Coat, den sie selbst «sehr begehrt», wie Hearst sagt. Das letzte Model ist – Überraschung – die Designerin selbst.

Anschliessend stellt sich Hearst per Zoom den Fragen der geladenen Medienleute. Sie ist extrem aufgekratzt, die Wangen glühen rosig, sie wirkt kein bisschen erschöpft. «Ich wollte diesen Job so sehr, dass ich mich mit absoluter Leidenschaft in die Aufgabe gestürzt habe», sagt sie. Als sie gefragt wird, ob sie wirklich glaube, ihre Nachhaltigkeitsprinzipien auf eine grosse Marke wie Chloé übertragen zu können, antwortet sie blitzschnell: «Sonst sässe ich nicht hier.»

Recycling als Philosophie

Ihre Herbst/Winter-Kollektion ist bereits viermal so nachhaltig wie die des letzten Jahres, durch viel rezyklierten Cashmere, rezykliertes Denim, wenig wasserintensive Baumwolle. Die Taschen sind innen nur noch mit schlichtem Leinen gefüttert. Chloé gehört zum Schweizer Richemont-Konzern; dessen ursprünglich für 2025 anvisierte Umweltziele sollen nun bereits innerhalb eines Jahres erreicht werden. Interessant zu beobachten wird sein, ob sich die neue Nachhaltigkeit auch mit den angestrebten Umsätzen verträgt, die jüngst deutlich schrumpften.

Ihre Entschlossenheit, die andere so bewundern, sei für sie die natürlichste Sache der Welt, erklärt Gabriela Hearst stets. «Ich habe Respekt vor der Natur, weil man auf einer Ranch im Einklang mit ihr lebt. Man weiss, wo das Essen herkommt und dass man Ressourcen sparen muss, weil nicht alles endlos verfügbar ist.» Sie hätten damals auch nicht viel Kleidung besessen; aber was sie gehabt hätten, sei von der Schneiderin fast couturehaft gefertigt worden. Die Kleider hätten nicht nur gut ausgesehen, sondern hätten auch viel ausgehalten.

«Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, unsere Lebensweise zu ändern», mahnt Hearst. Jetzt sei die Corona-Krise für alle das einzige Problem, aber der Klimawandel bedeute die noch viel grössere Herausforderung. Trotzdem müsse man Ruhe bewahren und schrittweise vorgehen und überlegen, wie sich immer noch Mode machen und gleichzeitig die Welt retten lasse. Auch diese Haltung hat sie sich natürlich auf der Ranch angeeignet. «Slowly by the stones», habe ihr Vater immer gesagt, langsam auf den steinigen Wegen: «Denn wenn du dort mit dem Pferd zu schnell galoppierst und herunterfällst, bist du erledigt.»

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